Sebber trifft: Eva, eine Notfallsanitäterin

Sie sind in diesen Zeiten gefragt wie kaum eine andere Berufsgruppe: Die Notfallsanitäter. Sie sind 24 Stunden und sieben Tage die Woche da, wenn es um Leben und Tod geht. Für diese Reportage treffe ich Eva (22) aus Bamberg. Ich kenne sie schon lange, schließlich haben wir vor sechs Jahren gemeinsam unser Freiwilliges Soziales Jahr begangen. Schon damals zeigte sich bei ihr, in welche Richtung es beruflich einmal gehen würde, denn die Juraklinik Scheßlitz war in dieser Zeit ihr Arbeitgeber. Heute arbeitet sie als ausgebildete Notfallsanitäterin.

Viele Anwärter auf der Bewerberliste

Es war im Jahr 2018, als Eva ihre Ausbildung zur Notfallsanitäterin beim Bayerischen Roten Kreuz – dem BRK – begonnen hatte. Viele verschiedene öffentlich-rechtliche Organisationen bieten diesen Ausbildungsberuf an, unter anderem auch die Malteser und die Johanniter. Der Andrang hierauf ist so groß, dass die Berufsfachschulen jährlich eigene Bewerbertage abhalten müssen – eine Art Casting sozusagen. Hat man einen der begehrten Ausbildungsplätze ergattert, wechseln sich drei Jahre lang Blockschule, Wach-Praktika und Klinik-Praktika im Rhythmus von vier Wochen ab. Am Ende der Ausbildung wartet dann eine Abschlussprüfung, die sich in einen schriftlichen, einen mündlichen und einen praxisorientierten Teil unterteilt. Während man in der Ausbildung mit 900 bis 1.100 Euro im Monat vergütet wird, beläuft sich der Verdienst eines ausgelernten Notfallsanitäters im Normalfall auf monatlich etwa 2.500 bis 3.100 Euro brutto. Doch „ausgelernt“ ist hier eigentlich der falsche Begriff. Denn trotz abgeschlossener Ausbildung hört das Lernen auch danach niemals auf. Wissbegierig und dadurch verantwortungsbewusst zu sein ist unverzichtbar für diesen Beruf, um im Ernstfall alles richtig zu machen.

Das Logo des Deutschen Roten Kreuzes ziert den Ärmel von Evas Sanitäterjacke.

Als Eva ihre Ausbildung begann, war sie bereits volljährig. Vorher, so sagt sie mir, hätte man wenig Chancen, an einen Ausbildungsplatz heranzukommen. Zwar ist es gesetzlich nicht vorgeschrieben, 18 Jahre alt zu sein. Es wird jedoch gern gesehen, wenn Auszubildende zum Beginn ihres Ausbildungsverhältnisses bereits einen Führerschein besitzen. Zudem gilt es auch gesetzliche Vorschriften zu beachten. So ist zum Beispiel das Jugendarbeitsschutzgesetz oft nicht in Einklang mit den festgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu bringen, denn keiner kann garantieren, dass feste Pausenzeiten eingehalten werden können oder eine Schicht nicht doch mal länger als geplant dauert. Vom Verbot von Sonntags- und Feiertagsarbeit ganz zu schweigen!

Das Planstellen-Problem

Eva ist nach ihrer Ausbildung vom BRK in den hauptberuflichen Dienst übernommen worden. Dies ist nicht selbstverständlich, denn trotz Fachkräftemangels gibt es einen Überschuss an Auszubildenden – was mich zunächst etwas stutzig macht. Schließlich hört man doch in Zeiten von Corona häufig von einer Überlastung des Gesundheitssystems und davon, dass Personal an allen Ecken und Enden fehle. Ich hake also nach und bekomme eine plausible Erklärung: Eva erzählt mir, dass die Ursache dieses Problems einen einfachen Grund hat. Die Kreisverbände selbst dürfen nämlich gar nicht mehr Personal einstellen, als es vorgesehene Planstellen gibt. Auf dem Papier sind diese Planstellen ganz gut besetzt, in der Praxis allerdings sorgt dies für 20-40 Überstunden pro Monat und bis zu 60 Stunden Arbeit pro Woche für jeden einzelnen Arbeitnehmer, weil krankheitsbedingten Ausfällen und Urlaub eine zu kleine Rolle zukommt. Es fehlt schlicht und ergreifend ein Team hinter dem Team – ein Backup, wenn man so will. Doch niemand weiß, wie groß der Bedarf an Notfallsanitätern nach dem Ende der Corona-Pandemie wirklich noch sein wird. Folglich hält man sich mit Neueinstellungen zurück. Das kostet zwar viele Nerven, aber nur wenig Geld.

„Tendenziell fahren wir acht bis zehn Einsätze pro Schicht. Und man weiß vorher nie, was wirklich auf einen zukommt.“

– Eva (22), Notfallsanitäterin

Der Alltag auf der Wache

Dennoch gefällt Eva ihr Beruf, den sie schon seit Kindheitstagen erlernen wollte. Ein Grund dafür ist, dass auf der Wache kein Tag dem anderen gleicht. Zwar dauert jede Schicht zwölf Stunden, doch im Endeffekt weiß Eva nie, was sie in dieser Zeit erwartet. Bis zu zehn Einsätze fährt sie mit ihren Kollegen pro Arbeitstag – eine Belastung, die körperlich wie psychisch absolute Fitness erfordert. Ein bisschen Routine gibt es dann aber doch auch: Zu Beginn jeder Schicht nämlich steht die Wachablösung mit einer kurzen Besprechung an, im Anschluss wird der Rettungswagen – kurz RTW genannt – einmal von vorne bis hinten durchgecheckt. Banale Dinge, wie die Tankfüllung und der richtige Ölstand sind hierbei genauso wichtig, wie die Funktionsfähigkeit der zahlreichen medizinischen Geräte, die im Fall der Fälle Leben retten können. Bis dieser Routinecheck abgeschlossen ist, kann schon mal eine halbe Stunde vergehen, schließlich gleicht ein RTW einem multifunktionalen Krankenhaus auf vier Rädern.

Im RTW gibt es eine klare Schubladen-Struktur, um im Ernstfall schnell handeln zu können.

Regelmäßig fahren bis zu fünf Rettungswägen im Großraum Bamberg umher. Zwei stehen im Stadtgebiet selbst, hinzu kommt jeweils ein Standort in Hallstadt, Scheßlitz und Burgebrach. In Teams von zwei bis drei Personen wechseln sich die Notfallsanitäter vor Ort in ihrem Schichtmodell ab, um stets da sein zu können, sollte ein Patient Hilfe brauchen. Insgesamt soll es im Ernstfall nicht länger als eine Minute dauern, bis die Einsatzkräfte zu ihrem Einsatzort ausrücken – es zählt jede Sekunde. Unverzichtbar ist für die Notfallsanitäter im RTW hierbei die Kommunikation mit der Leitstelle, die bereits auf der Fahrt zum Patienten erste Hinweise mitgibt, was einen vor Ort erwarten könnte. Auf einem speziellen Navigationsgerät werden dem Fahrer diese Hinweise zusätzlich noch einmal schriftlich angezeigt. Eine Garantie, dass sich die Lage am Einsatzort aber dann auch tatsächlich so gestaltet, gibt es trotzdem nicht. Vielmehr gilt es, die Situation nach dem Eintreffen beim Patienten selbst noch einmal zu beurteilen, um auf Nummer sicher gehen zu können. Und selbst wenn dann mal kein Einsatz ist, gibt es für die Notfallsanitäter praktisch immer etwas zu tun. Medizinschränke auffüllen, sich um die Wäsche kümmern, Geräte desinfizieren. Langweilig wird einem dabei so schnell nicht.

Arbeiten um Leben und Tod

Eva erzählt mir, dass die Anzahl der Einsätze in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, was in ihren Augen vor allem daran liegt, dass die Verunsicherung in der Gesellschaft oft groß ist. Viele haben eben Angst, das Falsche zu tun und rufen daher lieber die 112 – die wissen ja schließlich, was sie machen. An sich ein guter Gedanke, wie ich finde – immerhin besser als gar nichts zu tun. Dennoch verstehe ich auch die Sicht von Eva und ihren Kollegen, für die ja jeder Einsatz eine Stresssituation bedeutet, gerade wenn es dann doch mal um Leben und Tod geht. „Leben und Tod“ – ein Stichwort, aufgrund dessen mir etwas einfällt: Im Rahmen der Recherche zu diesem Thema bin ich immer wieder auf den Mythos des ersten Toten gestoßen, dessen Gesicht man angeblich auch Jahre später noch nicht vergessen kann. Aber stimmt das wirklich? Eva verneint das. Bei ihr zumindest ist das nicht so – im Gegenteil. Sie kann sich gar nicht mehr an ihren ersten Todesfall erinnern. Vielmehr seien diese Anblicke ein Teil ihres Alltags. Doch auch hier frage ich noch einmal genauer nach, denn schließlich können ja auch Notfallsanitäter manchmal einfach nichts mehr für ihre Patienten tun. Und das muss doch etwas in einem auslösen? Eva erklärt mir, dass es eben darauf ankommt, wer da vor einem liegt. Ist es der 90-jährige Urgroßvater, der nach einem arbeitsreichen Leben ruhig in seinem Sessel an Altersschwäche verstorben ist oder eben der 20-jährige Alkoholiker, der keinen Ausweg mehr sah und deshalb absichtlich gegen einen Baum gefahren ist, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Natürlich habe sie auch noch so manches Bild von stark verwesten Leichen im Kopf, die schon länger in ihrer Wohnungen lagen. Doch etwas richtig Schlimmes war für Eva zum Glück noch nicht mit dabei.

„Man erzählt abends zu Hause von seinem Arbeitstag, so wie das jeder andere auch macht. Aber mich belastet nach Feierabend emotional nichts.“

– Eva (22), Notfallsanitäterin

Eine pauschale Antwort zum Umgang mit solchen Situationen gibt es aber trotzdem nicht. Hierfür sind auch die Einsatzkräfte untereinander viel zu verschieden. Manchen hilft das Schweigen, manchen hilft das Reden, manchen hilft auch schwarzer Humor, um die erforderliche emotionale Distanz zum Patienten wahren zu können. Alle Beteiligten eines schwereren Einsatzes können jederzeit ein Seelsorge-Angebot wahrnehmen, sofern sie jemanden zum Reden brauchen. Eine gute Sache. Denn was viele häufig vergessen, ist, dass unter diesen neonfarbenen Westen ganz normale Menschen und keine Maschinen stecken. Menschen mit Gefühlen, mit Freunden, mit Familien. Genau deshalb sind diese Seelsorger, die häufig ehrenamtlich arbeiten, unabdingbar für alle Beteiligten, die beispielsweise einen schlimmen Unfall miterleben mussten – egal ob als ausgebildeter Helfer oder als schockierter Angehöriger. PSNV heißt diese Seelsorge in der Fachsprache, was ausgeschrieben für „Psychosoziale Notfallversorgung“ steht. Und selbst wenn keine Hilfe dieser Art benötigt wird: Bei großen, nicht alltäglichen Einsätzen spricht man auch bei den Notfallsanitätern fast immer über das Erlebte. Das ist wichtig, erzählt mir Eva, um beispielsweise eine Niederlage dann auch als solche akzeptieren zu können und wieder voll fokussiert auf den nächsten Einsatz zu sein. Denn der lässt ja meist nicht lange auf sich warten.

Eva fährt auch selbst regelmäßig Rettungswagen. Hierfür benötigt sie den C1-Führerschein.

Zwischen Achtung und Verachtung

In Bezug auf das Menschliche müssen Eva und ihre Kollegen häufig so einiges Wegstecken. Unfreundliche Autofahrer sind da noch das geringste Übel. Manchmal will sich ein Patient zum Beispiel auch einfach nicht helfen lassen. Das kann so weit gehen, dass sich Angehörige einmischen, die die Arbeit der Notfallsanitäter dann bewusst massiv behindern. Vom Anspucken bis zu akuten Drohungen hat auch Eva das gesamte Sammelsurium an negativen Erlebnissen schon mitgemacht. In diesen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren, ist sicher nicht einfach. Doch zum Glück gibt es auch die Kehrseite an Menschen. Diejenigen, die zu schätzen wissen, was die Rettungskräfte Tag für Tag leisten. Diejenigen, die Danke sagen und Fürsorge verspüren. Diejenigen, die wissen, dass ihnen geholfen wird und dass es ihnen sicher schon bald wieder besser geht. Das mache insgesamt vieles wieder wett, was man an unschönen Erfahrungen so miterleben muss, meint Eva. Gut so, schließlich kann ja in den meisten Fällen auch wirklich geholfen werden.

„Ich liebe es, Menschen helfen zu können und dabei gleichzeitig noch mein eigner Chef zu sein.“

– Eva (22), Notfallsanitäterin

Dabei bekommen die Notfallsanitäter nach der Übergabe an das Klinikpersonal nur in den seltensten Fällen noch mit, ob es ihren Patienten einige Tage später auch wirklich besser geht. Grund hierfür ist der allseits bekannte Datenschutz. Einmal ist es bisher erst vorgekommen, dass sie einen Patienten später privat noch einmal angetroffen hatte. Dessen gebrochener Ellenbogen war da aber schon wieder gut verheilt, teilt sie mir mit. Doch auch wenn Eva oft nicht weiß, wie sich die Gesundheit ihrer Patienten entwickelt, beflügelt sie immer wieder aufs Neue das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben und dabei auch noch in gewisser Art und Weise sein eigener Chef gewesen zu sein. Denn als Notfallsanitäterin ist sie es, die entscheidet, welche Medikamente, welche Maßnahmen und welche Mittel erforderlich sind, um einem Patienten zu helfen. Sie sieht darin immer wieder eine Herausforderung und freut sich, wenn sie diese erfolgreich bezwungen hat – denn das hält fit.

Mit dem rechten Knopf kann Eva das Blaulicht einschalten, mit dem linken das Martinshorn.

Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen

Wer sich zum Notfallsanitäter ausbilden lässt, der weiß, worauf er sich einlässt. Nicht jeder ist für das Schichtenmodell, den Stress und die Verantwortung geschaffen. Es gehört eine ganze Menge Selbstvertrauen mit dazu, sich um die Gesundheit von anderen Menschen zu kümmern. Entsprechend groß ist das Ansehen, das dieses Berufsfeld mit sich bringt. Das merkt auch Eva, wenn sie nach Feierabend in ihrem privaten Umfeld unterwegs ist. Häufig wird sie von Freunden nach spektakulären Einsätzen gefragt. Auch haben sich schon Verwandte bei ihr gemeldet, um einen Rat zu erbitten. So richtig Feierabend hat Eva also nie. Aber sie lebt ihren Job und würde ihn jedes Mal wieder wählen. Da macht es ihr auch nichts aus, wenn sie mal arbeiten muss, während ihre Freunde in die City zum Feiern gehen oder einen arbeitsfreien Feiertag genießen.

Das alles zeigt mir einmal mehr, dass der Beruf des Notfallsanitäters eine viel größere Rolle in unserer Gesellschaft spielen sollte. Unsere eigene Gesundheit ist uns so viel wert. Warum dann nicht auch das Wohl derjenigen, die sich um unsere Gesundheit kümmern? Eine Frage, die ich zum Abschluss einfach mal im Raum stehen lassen möchte.


Und jetzt seid ihr an der Reihe!

Mich interessiert: Was aus Evas Alltag ist euch besonders im Kopf geblieben? Und was beeindruckt euch am meisten an diesem Beruf? Musstet ihr vielleicht sogar selbst schon einmal den Notruf wählen, weil jemand Hilfe benötigt hat? Ich freue mich, wenn ihr einen Kommentar hinterlasst.


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